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von atreiju » 18.04.2012 15:52
Vorsicht Jungs, jetzt kommt ein längerer Text, für die meisten im Forum wahrscheinlich schon im Ansatz zu lang, um ihn überhaupt zu lesen, aber ich freue mich über jeden, der sich die Zeit nimmt und bereit ist, mit mir sachlich darüber zu diskutieren, weil ich da viel Zeit und viel Nachdenkarbeit reingesteckt habe und mich lange mit der Situation des Vereins beschäftigt habe.
Leute, ich halte die Diskussion über die Transfers für die Saison 2011/12 für müßig. Klar wurde in der Nachbetrachtung weder im Sommer noch im Winter ein Knaller, ein Volltreffer geholt, allerdings stellt sich doch auch die Frage, ob das angesichts der Verpflichtungen zu erwarten war. Aus meiner Sicht nein, bei Wendt hatte ich gedacht, dass dieser sich durchsetzt, aber angesichts der überragenden Saison von Daems hat er sicher auch Pech gehabt und es lag weniger an der Klasse des Spielers.
Wirklich enttäuscht bin ich am ehesten noch von der Entwicklung von Rupp und Zimmermann, den beiden Verpflichtungen vom KSC, bei beiden hatte ich mehr erwartet, aber nun gut, beide sind noch sehr jung und vielleicht brauchen sie – ähnlich wie Roman Neustädter etwas länger um durchzustarten.
Viel wichtiger – und das ist für mich das, was wirklich zählt - ist der Blick in die Zukunft und da beneide ich Max Eberl wirklich nicht um seinen Job und kann ihm nur beide Daumen drücken, dass er diese Herkulesaufgabe gut bewältigt, für uns alle. Denn es könnte sein, dass die Verpflichtungen dieses Jahres ganz ganz entscheidend die Weichen stellen für die weitere Entwicklung des Vereins und das auch noch unter ganz erschwerten Bedingungen. Ich behaupte jetzt einfach mal, Maxi Eberl hat diesen Sommer den absolut schwersten Job der Liga. Ich möchte das erst kurz allgemein begründen und dann anhand der unterschiedlichen möglichen Szenarien (Platz 3-5) ausführlich erläutern.
Borussia hat eine Riesensaison gespielt und steht jetzt zum ersten Mal seit langem wieder mit mindestens 6 Spielen im internationalen Wettbewerb. Dies ist ein Riesengrund zur Freude für alle Fans. Dies bedeutet aber für Trainer und Manager, dass die Mannschaft eine noch höhere Belastung hat als in dieser Saison, dass zumindest zwei – ich gehe von drei Stammspielern (Dante, Reus, Neustädter) aus – den Verein verlassen und dass sowohl Spieler, als auch Manager und Berater anderer Vereine wissen, dass Borussia rund 25 Mio. e im Geldbeutel für Verstärkungen hat. Eberls Herkulesaufgabe besteht also darin, die Abgänge qualitativ zu ersetzen, quantitativ für bessere Alternativen auf der Bank zu sorgen, gleichzeitig den Gehaltsrahmen und die Ansprüche der vorhandenen Spieler im Auge zu haben und zwar über die nächste Saison hinaus und auch noch die Wünsche des Trainers so zu erfüllen, dass dieser möglichst bald verlängert.
Und wäre das eben Geschriebene noch nicht Herausforderung genug, kommt auch noch das Problem dazu, dass Eberl aktuell eben noch gar keine Planungssicherheit hat und gar nicht weiß, wie viel Geld er wirklich zur Verfügung hat. Denn dies ist auch davon abhängig, welche Endplatzierung wir erzielen, Platz 3, 4 oder 5. Und ich bin mir noch gar nicht so sicher, welche Platzierung am Ende aus Managersicht (und nur aus dieser) wirklich die beste ist.
Szenario 1: Borussia wird 3.
Vorteile:
- sichere Teilnahme an der Gruppenphase der CL
- gesicherte Mindesteinnahmen von 15, eher 20 Mio. €, zzgl. Punktprämien
- sehr hohe Attraktivität für Spieler anderer Vereine, die gerne CL spielen wollen
- Planungssicherheit ab Anfang Mai
- höhere Sponsoring-, Marketing- und Zuschauereinnahmen
- bessere Verhandlungsposition im Hinblick auf neue und weitere Sponsoringverträge
- sehr attraktive Gegner in der Gruppenphase garantiert, da in Topf 4, Außenseiterrolle
Nachteile:
- der „Fluch der Champions League“ (Erläuterung folgt weiter unten)
- höhere Spielergehälter und -prämien
- Mannschaft muss tiefer verstärkt werden als nur bei Erreichen der EL
- höhere Ablösesummen notwendig
- Erwartungshaltung wächst
- Gefahr, dass Mannschaft an Grenzen stößt und Selbstvertrauen verliert
- noch intensivere Belastung
Auf den ersten Blick wirkt dieses Szenario als das einfachste und beste, Eberl hat Planungssicherheit, hat 15 Mio. € mehr für Investitionen, der Verein hat eine höhere Anziehungskraft auf Spieler, Werbepartner etc., die Fans bekommen hoffentlich 3 Kracherspiele zuhause zu sehen, die Erwartungshaltung international ist sehr niedrig, Platz 3 in der Gruppe schon ein Riesenerfolg. Kurzum eine direkte Quali für die CL birgt sehr viele Chancen und hat gravierende, ja vielleicht entscheidende Vorteile für die Entwicklung des Vereins, wenn, ja wenn das Geld optimal investiert wird und parallel die Chancen in den anderen Bereichen wie Sponsoring, Marketing, etc. auch genutzt werden.
Andernfalls – und das ist der große Nachteil dieses Szenarios – droht eben der Fluch der Champions League. Was das bedeutet, der sehe nach bei Vereinen wie VfB Stuttgart, HSV, ja auch Werder Bremen, Borussia Dortmund oder mit Abstrichen Bayer Leverkusen und Schalke 04.
Insbesondere die ersten beiden haben einmal bzw. zweimal CL in den letzten 10 Jahren gespielt, sie haben viel Geld eingenommen und auch wieder ausgegeben, um den Kader CL-tauglich zu machen und so stark, dass er sich wieder dafür qualifiziert – es ist schief gegangen und mit den Folgen daraus haben die Vereine heute noch zu kämpfen (Hohe Spielergehälter, weniger Einnahmen, kaum Transferüberschüsse, Ansprüche der Fans). Der VfB wird z.B. trotz der bevorstehenden EL-Quali den Personaletat von 50 Mio. € in dieser Saison auf 40 Mio. € nächste Saison kürzen müssen. Für Spieler wie Pograbniak, Kuzmanovic etc. wurden Riesensummen bezahlt, die sich nicht amortisierten, die Mannschaft fiel in ein Loch und qualifizierte sich nicht wieder. Ähnlich die Lage beim HSV, bei dem dieser einmalige Erfolg dazu führte, dass man glaubte, durch Investitionen dies wiederholen zu können und jetzt fast ein Abstieg die Konsequenz gewesen wäre, weil der Verein gnadenlos die finanzielle Reißleine ziehen musste und wohl auch weiterhin ziehen muss trotz eigentlich hervorragender wirtschaftlicher Voraussetzungen in Hamburg.
Ja – und auch Werder Bremen ist jetzt in diesen Fluch geraten. Über Jahre haben es Allofs und Schaaf meisterlich verstanden, immer wieder Abgänge zu ersetzen und hohe Qualität zu einem vernünftigen Preis zu kaufen und so wieder und wieder die CL-Quali zu schaffen. Wer jetzt nach zwei Jahren ohne Quali genau hinsieht, stellt fest, dass der Verein komplett neu aufbauen muss und gnadenlos Kosten einsparen zu Lasten der Qualität, er hat lange gebraucht der Fluch, aber er hat zugeschlagen. Ohzne näher darauf einzugehen, auch beim BvB, Schalke und Leverkusen gab es ähnliche Entwicklungen.
Was heißt dies also für Maxi Eberl ? Wie kann man diesen „Fluch“ vermeiden?? Für mich gibt es da nur einen konsequenten Weg – sehr hart und entschlossen „Nein“ sagen können, genau so, wie es auch der BvB in den letzten Jahren gemacht hat, Nein zu überteuerten Transfers, Nein zu überzogenen Gehaltsforderungen, Nein zu einem Etatauswuchs, stattdessen konsequent eine Philosophie verfolgen, den Spielern diese aufzeigen und sie für den Gladbacher Weg begeistern, der ähnlich wie der Dortmunder Weg einer sein muss, dass wir ein klares Spielkonzept haben, die Spieler technisch und taktisch weiter entwickeln, auf junge Talente setzen und ihnen die Möglichkeit bieten, zu reifen und die ganz Großen auf sich aufmerksam zu machen. Damit leben, dass die besten Spieler dann teuer weiter verkauft werden und sich einen Namen machen. Mit der Zeit Rücklagen bilden, um zunehmend solche Spieler halten zu können. Das ist aus meiner Sicht der einzige Weg.
Und das bedeutet eben auch Versuchungen widerstehen und trotz der Mehreinnahmen Rücklagen zu bilden und nicht alles zu investieren, sowie den Gehaltsrahmen einzuhalten. Wenn ein Spieler meint, mehr als 3-3,5 Mio. verdienen zu wollen, dann ist er eben bei uns falsch.
Trotz dieses Fluches halte ich dieses Szenario insgesamt für das beste aus Managersicht.
Szenario 2: Wir werden Vierter
Vorteile:
- Chance auf die CL-Gruppenphase
- garantiert 8 internationale Spiele
- Chance auf die bereits angesprochenen Einnahmen aus der CL als Bonus
- finanzieller Etat kann nur auf Basis EL geplant werden
- die Chance CL lockt Spieler eher als „nur“ die sichere EL
- höhere Sponsoring- und Marketingeinnahmen als bei EL alleine
Nachteile:
- Planungsunsicherheit
- keine Klarheit vor Ende August
- auch für die Mannschaft schwierige Situation der Ungewißheit
- Problem bei Kauf nach CL-Quali Spieler spät integrieren zu müssen
- Markt ist „abgegrast“ und eng
- schwierig, Balance zu finden, wie Kader aussehen soll
Da ich bei Szenario 1 schon sehr viel geschrieben habe, wird es jetzt deutlich kürzer. Aus reiner Managersicht ist dieses Szenario wohl das problematischste, weil eben Unsicherheit besteht über die Einnahmen- und die Ausgabenseite. Es dürfte schwerer sein, Spieler für den Klub zu begeistern, weil die CL eben nicht sicher ist, aber auch einen Tick einfacher als nur bei einer EL-Teilnahme.
Möglicherweise würde eine verpasste Quali sich negativ auf Fans und Mannschaft auswirken, zumal diese stattfindet, wenn die Saison schon läuft. Planung muss auf Basis der EL-Einnahmen basieren und darauf ausgerichtet sein, somit weniger und günstigere Verpflichtungen.
Kurzum dieses Szenario wäre die wohl größte Herausforderung für Eberl, sie bietet aber auch eine große Chance. Gelingt es Eberl einen Kader auf Basis der EL-Einnahmen zusammen zu stellen, der sich dann überraschend für die CL qualifiziert und wird dann mit den Mehreinnahmen vorsichtig gehaushaltet, dann bietet dieses Szenario eine gute Chance, den Fluch der CL zu besiegen, weil eben die Gehälter nicht explodiert sind, vorsichtig kalkuliert wurde und so eine finanzielle Reserve gebildet werden kann, um im Bedarfsfall nachzurüsten oder zur nächsten Saison weiter darauf aufzubauen.
Kurzum das schwierigste Szenario, aber wenn es positiv gemeistert wird, vielleicht das erfolgversprechendste.
Szenario 3: Platz 5 – EL-Gruppenphase
Vorteile:
- Planungssicherheit
- auch hier attraktive Gegner möglich
- Chance auf Überwintern im internationalen Geschäft
- internationale Aufmerksamkeit
- leicht positive Auswirkungen auf Sponsoring/Marketing
- Gehälter und Ablösesummen steigen geringer
Nachteile:
- nur geringe Mehreinnahmen aus internationalem Geschäft
- aufgrund fehlender TV-Verträge keine Einnahmensicherheit
- geringere Attraktivität für Spieler/Talente
- Rhythmus Donnerstag/Sonntag
- Investitionen in Qualität und Quantität deutlich geringer möglich
- Belastung genauso hoch bei geringeren Vorteilen
- Erwartungshaltung höher (Überstehen der Gruppenphase, auf dem Papier schwächere Gegner)
Dieses Szenario wirkt einfacher als Platz 4, weil Eberl und auch Favre genau wissen, woran sie sind und auchgezielter und besser planen können. Allerdings wird bei genauerem Hinschauen auch klar, dass dieses Szenario bedeutet, dass die Effektivität bei Transfers und auch bei der weiteren Planung am höchsten sein muss, wenn die Mannschaft annähernd das Niveau dieser Saison halten soll und mittelfristig sich da etablieren soll (Platz 3-8). Eberl kann sich fast keinen teuren Fehlschuß leisten, jeder Transfer muss sitzen.
Gehen wir einmal davon aus, wir können tatsächlich 25 Mio. € in Transfers und Handgelder investieren, wobei das Gehaltsgefüge noch so ist, dass eine Saison im Mittelfeld keine finanziellen Probleme birgt. Das Beispiel Stindl zeigt schon, was ich vorhin meinte, mit „Nein“ sagen können, da wird eine Ablösesumme von über 5 Mio. € gerüchteweise gestreut und eine Verdreifachung des Gehaltes – damit wäre ein Fünftel der Summe schon mehr als weg. Unabhängig davon, ob Stindl diese Investition wert sein mag oder nicht – ich halte sehr viel von ihm, finde aber den preis bei einem Jahr Restvertrag zu hoch – und ob diese Zahlen stimmen, zeigt dies die Zwickmühle, in der Eberl steckt.
Wir brauchen bei einem Weggang Dantes 5-6 neue Spieler, von denen zumindest 3 sofort auch in der ersten Elf stehen können (1 IV, 1 DM und den Reus-Ersatz), dazu zwei weitere polyvalente Spieler – einer davon im defensiven Bereich, einer im offensiven, der auch Torgefahr ausstrahlt, ich würde auch gerne eine weitere Alternative auf RV sehen. Und all diese Spieler müssen in den Investitionsrahmen passen und sollten auch alle funktionieren. Das ist extrem schwierig und grenzt fast an Zauberei.
Andererseits ist es eben planbar und ich bin mir auch sicher, der Gehaltsetat wird geringer ansteigen und damit auch für die Zukunft manövrierfähiger sein. Gelingt Eberl das Ei des Kolumbus kann hier eine dauerhafte Basis gelegt werden, wahrscheinlicher aber ist, dass dieser Weg hin zu einer dauerhaften Etablierung in der oberen Hälfte der Tabelle sehr steinig ist und womöglich länger dauert als bei den anderen Szenarien, wenn dort das meiste klappt. Dafür ist die Absturzgefahr auch geringer, weil geringere Risiken eingegangen werden müssen.
Fazit:
Erst einmal gebührt Eberl Dank und Anerkennung, dass er mit seiner Transferpolitik und der Verpflichtung von Favre entscheidend die Basis für den Erfolg dieser Saison geschaffen hat. Dass nicht alle Transfers sofort funktionieren und auch Flops dabei sind, ist völlig normal und gehört dazu.
Fakt ist aber auch, dass Maxi Eberl vor der größten Herausforderung seiner Karriere steht, egal welches Szenario jetzt eintreffen mag. Er kann sich hier unsterblich machen und er kann beweisen, dass er zu den ganz Großen seines Fachs gehört, wenn er je nach Szenario, erfolgreich agiert. Ich beneide ihn nicht – und ich bin mir sicher, die meisten seiner Kollegen auch nicht – um diese höchst anspruchsvolle Aufgabe. Ich drücke ihm beide Daumen und wünsche ihm und unserem Trainer das richtige Gespür, das glückliche Händchen, die nötige Härte und Konsequenz in den Verhandlungen, den richtigen Weitblick und einfach viel, viel Erfolg. Meckern ist einfach, wenn es schief geht, Wünsche äußern und träumen auch, in dieser Situation das Richtige tun eine Kunst und vor allem viel, viel harte Arbeit.
Ich wünsche ihm und uns, dass seine Arbeit, denn ich bin mir sicher, dass Maxi viel arbeitet und hart arbeitet, auch belohnt wird und er die Weichen richtig stellt. Eine Garantie dafür gibt es nicht, das sollte und allen klar sein.