Über Provinzen und planloses Gekicke
Geschrieben von Mike Lukanz
Eine Glosse, so lehren uns journalistische Lehrbücher, ist ein mit Pointen und Satire versehender Beitrag eines Redakteurs oder Journalisten. Sie gilt unter Fachleuten als eine der schwierigsten journalistischen Formen. Liegt mitunter daran, dass sich die jeweiligen Verfasser selber nicht ganz schlüssig sind, welche Darstellungsform just unter ihren Fingern und ihren Gedanken entsteht. Welch herrlicher Zustand also, schreibt man für ein bescheidenes OnlineMagazin wie das unsrige! Hier dürfen wir fröhlich und mit voller Absicht jede dieser Darstellungsform mischen. Widmen wir uns also im Folgenden dem Derby, das - wie erwartet - in den Folgetagen außergewöhnlich viele Reaktionen hervorrief. Die Bewertungen gingen dabei mitunter so weit auseinander wie die Qualität der Verfasser. Ein Blick in die Presse lässt Erstaunliches zu Tage treten.
Schauen wir auf den „Kölner StadtAnzeiger", der in mehrfacher Hinsicht auffiel: sonst dafür bekannt, krampfhaft einen Gegenpol zum Boulevardblatt „Express" zu bilden, überrascht in der Nachbetrachtung zum Spiel der Borussia gegen den FC mit bemerkenswerter Eintönigkeit. Grundsätzlich, dies sei zu Beginn angemerkt, ist es positiv zu sehen, dass selbst die Menschen, die sonst durch mehr oder weniger sachliche Berichterstattung ihr Geld verdienen, sich der Ausstrahlung eines solchen Duells nicht entziehen können. So wollte Frank Nägele vom „StadtAnzeiger" einen „moralischen Erfolg in Unterzahl" für den FC gesehen haben. Soso. Würde ich mich an dieser Stelle mit den geschätzten Kollegen Gizinski und Zierold austauschen, thematisierte ich sicherlich die philosophische Bedeutung der Moral. Aber ich schreibe über Frank Nägele und den „StadtAnzeiger", also weiter im Text.
Wo für Frank Nägele (dessen Kollege Karl-Heinz Wagner, ebenfalls „Kölner StadtAnzeiger", seit Jahren ein mit „frostig" noch höflich umschriebenes Verhältnis zu unserem Alexander Voigt pflegt) überhaupt ein Erfolg besteht, ist mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar geworden. Meint er das planlose Gekicke der Kölner Abwehrreihen auf die Sturmspitzen Helmes und Novakovic oder die wenig planvolleren Abschläge von Torwart Mondragon auf die Kölner Sturmspitzen Helmes und Novakovic? Von der großspurigen Ankündigung Christoph Daums, man wolle in Mönchengladbach „auf Sieg" spielen, war während der gesamten 90 Minuten wenig zu sehen. Das Mittelfeldspiel (zumindest das offensive) fand nicht statt, die Außenstürmer Chihi und Scherz waren abgemeldet. Das bekannte Problem der Gäste, sich zu sehr auf die individuelle Klasse einzelner Akteure zu verlassen, war am Montag Abend deutlich zu erkennen.
Neben der fragwürdigen Interpretation des Ergebnisses und seines Zustandekommens ließ der „KStA" in den vergangenen Tagen bis einschließlich gestern zwei Redakteure (Tobias Kaufmann & Thorsten Keller) aufeinander los, die sich in mehr oder weniger (eher weniger) witziger Art und Weise einen verbalen Schlagabtausch rund ums Derby lieferten („Die Erzrivalen-Kolumne"). Nun, viel Neues durfte der Leser nicht erfahren, beide Parteien bedienten die üblichen Klischees und Beschimpfungen („Lachbach"), die einem 8-jährigen aus dem „Langnese"-Familienblock höchstens ein gelangweiltes Lächeln entlocken würden. Der gebürtige Leverkusener Kaufmann wird zwar nicht müde zu betonen, dass er Kölner sei (ist ein gängiger Reflex in dieser Konstellation, Herr Kaufmann! Ginge mir ähnlich), seine Sticheleien sind indes wenig einfallsreich. Was ist los, Kollege Kaufmann? Ihre Kolumnen gehören sonst zu den besseren ihrer Art! Ist das der ebenso typische Reflex, den ein Großstädter hat, wenn er in die Provinz fährt, weil er dort regelmäßig aufs Maul bekommt (war doch früher bei den Scheunenfesten auch so)? Dieses „Großstadt frisst Bauer"-Gefasel wird immer dann lustig, wenn man auf die Kennzeichen der angereisten FC-Anhänger schaut: EU (Euskirchen), BM (Bergheim), AW (Ahrweiler), SU (Siegburg), GL (Bergisch-Gladbach). Wie wir wissen, alles Landkreise im durchaus schönen Rheinland, die für Großstadtflair, modernes Nachtleben und buntes Kulturprogramm, nicht wahr! Aber, das haben die FC-Fans mit Herrn Kaufmann gemein: wenn es gegen den großen rheinischen Rivalen aus Gladbach geht, vergisst man schonmal die Herkunft. Der Kollege Jochen Ohlerth, unser Co-Autor vom Vorbericht, pflegt immer zu sagen: „Kleines Mädchen im dunklen Keller, das laut vor sich her singt, um die Angst zu überspielen."
So ist man sich auf Kölner Seite nicht wirklich einig, wie man dieses Spiel einzuordnen hat. Man habe sich zwar herabgelassen in die Provinz mit Kirmes-Flair, sei in dieses hässliche Wellblech-Stadion gefahren, aber am Ende doch irgendwie froh, gegen den „Angstgegner" in einer nur durch den Schiedsrichter verursachten Unterzahl wenigstens „einen Punkt" geholt zu haben. Somit sei man - Herr Nägele lässt grüßen - der moralische Sieger! Die einfache Sicht der Dinge war dem Kölner schon immer sehr vertraut. Vielleicht hätte man auf das hören sollen, was die eigenen Spieler nach diesem Duell zu sagen hatten. Wird zwar seit der Flucht des Lukas Podolski nach München und der Herabsteigung des Messias selten bis nie praktiziert, aber dabei tritt mitunter eine erstaunliche Offenheit und Wahrheit zu Tage. Wie man dieses Spiel gut und treffend analysieren kann, beweist u.a. Daniel Theweleit in seinem Artikel "Zu viel Drama für Daum " auf SpiegelOnline.
So schließen wir diese Glosse im Wissen, nach wie vor Tabellenführer zu sein und darin, dass der 1.FC Köln in dieser Form kein ernsthafter Konkurrent um den Aufstieg sein wird und gucken aus Mönchengladbacher Sicht konzentriert auf das nächste Spiel, wo ein echter Prüfstein wartet. Beim FC wiederum wird man sich vor dem Heimspiel gegen Paderborn zu tausenden in den Armen liegen, unverständliche Lieder gröhlen, die man nur betrunken ertragen kann und sich planloses Gekicke auf Novakovic und Helmes angucken.
Wir sehen uns im Rückspiel, dann in der Großstadt!
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