Sean McLaughlin hat geschrieben:Das wird nicht gemacht, damit die SR sich Spiele umsonst anschauen können, sondern, falls ein SR oder SR-Assi ausfällt, ein SR im Stadion ist, der diesen vertreten kann. In den 80 oder 90ern riss einem SR in einem BL-Spiel mal die Achillessehne. Ein Linienrichter (der hiess damals auch noch Linienrichter und nicht SR-Assi) leitete das Spiel weiter und ein zuschauender SR aus dem Publikum nahm den den Posten des Linienrichters ein. Fragt mich bitte aber nicht, in welchem Spiel das war.
25 600 Zuschauer im ausverkauften Rostocker Ostseestadion bekamen in der zweiten Halbzeit einige Musikeinlagen gratis geboten. Das Spiel war für 15 Minuten unterbrochen, weil Schiedsrichter Georg Dardenne aus Nettersheim einen Muskelfaserriß erlitt. Linienrichter Josef Funken stieg zum Spielleiter auf und Ersatz-Linienrichter wurde Helmut Hübner aus Güstrow, der zuvor noch im Publikum saß.
Georg Dardenne, Jahrgang 1959 und seit 1994 sogar FIFA-Referee, ging in der 52. Minute beim Stand von 2:0 für Hansa unfreiwillig in die Knie. Er war mit dem rechten Fuß umgeknickt und konnte auch von den hinzugeeilten Ärzten beider Mannschaften nicht mehr fit gemacht werden. Später wurde ein Muskelfaserriß im rechten Oberschenkel festgestellt. Dardenne jedenfalls mußte aufgeben - ein seltener Fall in der langen Geschichte der Fußball-Bundesliga.
Kommissar als neuer Chef
Peter Gabor, Ex-Bundesliga-Schiedsrichter aus Berlin und offizieller DFB-Beobachter der "Herren in Schwarz" im Ostseestadion, mußte eilig in Aktion treten und den Verlauf des Matches sicherstellen. Zuerst mußte der Linienrichter mit der höchsten Qualifikation die Schiri-Pfeife übernehmen. Das war Josef Funken, ein Kriminalkommissar aus Grevenbroich. "Doch das größere Problem war, einen Ersatz-Linienrichter zu finden", so Peter Gabor zur Berliner Zeitung. "Ich habe dann eine dringende Stadionansage veranlaßt." Über Lautsprecher wurden Schiedsrichter mit einer entsprechenden Qualifikation gesucht. "Es kamen sofort vier, fünf Leute, die meisten aus Rostock", so Peter Gabor. "Ich habe mich dann für Helmut Hübner aus Güstrow entschieden, weil ich ihn kannte und vor zwei Jahren in der Oberliga Nord-Ost betreut habe. Er schien mir auch als Nicht-Rostocker am neutralsten", so Gabor zu den Hintergründen der Linienrichter-Aktion.
Gute Noten für die Neuen
In seinem Bericht an den Deutschen Fußball-Bund bescheinigte Gabor dann auch den beiden "Einspringern" gute Noten. Auch Georg Dardenne, der später die Pfiffe seiner Nachfolger bandagiert beobachtete, kam bei Gabor gut weg: "Sehr gut bis zu seinem Ausscheiden!"
Peter Gabor mußte lange überlegen, jemals in der Bundesliga einen ähnlichen Fall erlebt zu haben. Er fand kein Beispiel. Aber auch ihn selbst hatte es einmal auf dem Rasen sehr böse erwischt. "Das war vor 13 Jahren und passierte mir ausgerechnet im Berliner Olympiastadion. Bei einem Testspiel von Hertha BSC gegen die russische Nationalmannschaft brach ich mir ein Bein."
Peter Gabor deutete an, daß auch für die höchste deutsche Spielklasse an einen "vierten Mann" im Stadion gedacht wird, einen, der wie im Fall Dardenne einspringen könnte.
Siegfried Kirschen aus Frankfurt (Oder), einst FIFA-Referee und WM-Schiedsrichter 1986 in Mexiko, sieht das als problematisch an. Der heutige Präsident des Fußball-Verbandes von Brandenburg: "International ist der vierte Mann üblich. Bei Länderspielen und Europacup-Begegnungen ist ein Mann mit der gleichen Qualifikation wie der Referee vor Ort. Das in der Bundesliga einzuführen, würde einen sehr hohen Aufwand bedeuten." Kirschen könnte sich aber gut vorstellen, daß ein qualifizierter Schiedsrichter aus dem jeweiligen Verbandsgebiet anwesend ist, sich vor dem Anpfiff beim "Mann in Schwarz" meldet und so auf Abruf sitzt. "Weil wir diese Bestimmung nicht haben, kommen manche Kollegen überraschend zu einer großen Bewährungsprobe - siehe Rostock."
Siegfried Kirschen verletzte sich in seiner 30jährigen Zeit als Pfeifenmann übrigens nie. "Ich staune, daß dies in letzter Zeit öfters passiert."
Pech und großes Los
Das Pech des Georg Dardenne war das große Los für Helmut Hübner aus Güstrow, Verbandsliga-Referee in Mecklenburg-Vorpommern. Für 38 Minuten kam er in Rostock zu seinem Bundesliga-Debüt an der Seitenlinie. Der wohlbeleibte Taxiunternehmer, 50 Jahre alt, kann aber auf beachtliche 928 Einsätze als Schiedsrichter in unteren Spielklassen zurückblicken. Nach seinem medienträchtigen Rostocker Auftritt hatte Hübner erst mal nur eine Sorge: "Ich wollte um 18 Uhr zu Hause sein und `ran`sehen. Meine Frau interessiert sich nicht für Fußball und wird das Interview mit mir ganz bestimmt nicht aufnehmen." Aufatmen dann beim glücklichen Hübner, als sich der vermeintliche "Ran"-Reporter als ZDF-Mann outet. "Bis zum Sportstudio bin ich längst zu Hause!" freute sich der Mann aus Güstrow. Gestern pfiff er schon wieder ein Kreisklassenspiel in Bölkow bei Güstrow. Auch da war er nur eingesprungen, wußte aber vorher Bescheid.
Starker Fußball-Narr
Hübner hatte doppeltes Glück. Wenn sein Sohn Frank im Stadion gewesen wäre, hätte dieser einspringen können. Als Oberliga-Schiedsrichter steht der in der Pfeifen-Hierarchie schließlich über seinem Vater. Helmut Hübner ist nach eigenen Aussagen ein "Fußball-Narr", verfolgt die Männer um Berti Vogts zu fast allen Länderspielen - sogar bis in die USA. Im Ostseestadion jubelten ihm die Massen zu. Es stand schnell 3:0 für Hansa und mit Josef Funken hatte Hübner einen neuen Spielleiter auf dem Rasen, der sich als Kriminalkommissar weder von den Rostockern noch von den "Roten Teufeln" vom Betzenberg etwas vormachen ließ. Ein glücklicher Tag für den Kommissar und den Taximann - derzeit kassiert der Referee für ein Bundesligamatch 2 500 Mark und die Männer an der Linie je 1 250 Mark. Dafür müßte der Güstrower Hübner sonst schon einige Stunden mit seinem Taxi fahren, immer mit zahlendem Fahrgast natürlich.
http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html