Herzlichen Glückwunsch zu diesem Trainer.
Schön, dass er wieder in der Bundesliga ist.
Er ist zwar nicht der "perfekte Trainer", aber auf jeden Fall ein Typ, der etwas anders daherkommt. Smart, fein, charmant...
Trotzdem hat er auch einige Fehler, derer man sich bewußt sein sollte.
Die guten Seiten:
- - Perfektionist, Genial
- hervorragender Taktiker und Stratege
- gutes Gespür für die richtige Entscheidung im Spiel
- kann die Spieler taktisch und technisch verbessern
- durch ein kluges Organisationskonzept bringen die Spieler ein besseres Gesamtergebnis
- hat eine langfristige Idee von Offensivfussball (am Anfang wird es nicht schön sein, da die Abwehr stabilisiert wird...)
- möchte am liebsten nur Spieler unter 25 Jahre haben
Die schlechten Seiten:
- - zaudernd, wankelmütig
- Inselbegabung
- hat ein Problem mit extrovertierten Stars, die sich selber aus der Mannschaft hervorheben ("Die Mannschaft ist alles!")
- Spieler, die sich nicht an seine taktischen Vorgaben halten und nicht lernbereit sind, werden nach Möglichkeit von ihm aussortiert - egal wie beliebt und welch Ausnahmekönner betroffen sind
- Kommunikationsprobleme und mangelnde Transparenz in seinen Entscheidungsprozesse, können für Konflikte mit z.B. Leistungsträgern sorgen
- sein Perfektionismus strapaziert die Nerven aller, die mit ihm arbeiten müssen
- braucht einen starken und gereiften Vorgesetzten/Manager an seiner Seite
Ja, auch er ist ein Mensch, der so seine Winkelzüge hat. Ehrlichkeit, Treue und alles was die Romantik hergibt, das deckt er in Wirklichkeit nicht ab. Sein Auftreten läßt es einem glauben. Aber man sollte auf jeden Fall dabei berücksichtigen, auch er vertritt seine eigene Wahrheit und achtet auf sein Honorar.
Eine kurze Rückblende, warum es in Berlin so in die Hose gegangen ist:
Nach einer erfolgreichen Saison mit dem 4.Platz wurde Michael Preetz sportlicher Geschäftsführer. Also Nachfolger vom alpha-Tier Dieter Hoeness.
Favre hatte nach dem sportlichen Erfolg von verschiedenen Seiten angeblich Angebote erhalten (Leverkusen, HSV, Gladbach, ...). Es gibt Stimmen, die sagen, dass sich Favre selber anderweitig angeboten habe, weil er gesehen hat, dass es in Berlin sehr sein schwer würde (Leistungsträger nicht zu halten, finanzielle Einsparungen, ...).
Trotz der Sommerpausen-Themen haben die Verantwortlichen bei Hertha sehr unkritisch die Transferwünsche von Favre erfüllt. Junge Spieler kamen und zusätzlich ein bereits schon einmal in Berlin gescheiterter Wichniarek. Spätestens hier hätten Preetz und Präsidium ein "Veto" aussprechen müssen. Wichniarek und Berlin hatte nicht gut funktioniert. Auch wenn Wichniarek bis zu dem Zeitpunkt als 1.Liga-Stürmer gute Statistiken aufzuweisen hatte, so ist das ja nicht alles. Die Chemie zwischen Berlin und Wichniarek stimmte nicht und Favre hatte seinen berüchtigten Dickkopf durchgesetzt.
Es gab auch einzelne Brandherde in der Mannschaft die aus der Vorsaison unbereinigt geblieben sind. Besonders Arne Friedrich hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Das entscheidende war, dass Favre nicht in der Lage war, die aufgerissenen Gräben zu kitten. Die Beziehung zwischen Friedrich und Favre belastete den Saisonstart. Ein Kapitän und IV, der komischerweise in wichtigen Situationen einen Schritt zu spät kam... Naja, es gibt nicht wenige, die der Meinung sind, dass Friedrich erheblichen Anteil am mißlungenen Saisonstart und der negativen sportlichen Eigendynamik besaß.
Zusätzlich entstanden verschiedene Cliquen innerhalb der Mannschaft.
Aber man muß auch verstehen, dass für Favre die menschlichen Beziehungen und Gefühle während der "Arbeit" unwesentlich sind. Er setzt sich über die Emotionen hinweg. Aber auch für die Spieler ist Fussball mit Emotionen verbunden. Sie sind keine Schachfiguren.
Spielertransfers/-wünsche von Favre müssen unbedingt kritisch bewertet werden. Favre denkt dabei in einem derart langen Ausbildungszyklus, da kann man bis dahin schon 2x abgestiegen sein. Wobei ich der Meinung bin, dass man rechtzeitig den Aufwärtstrend bekommen würde, wenn alle Entscheidungsträger die Nerven behalten würden.
Was ist in Berlin passiert?
Nach 6 Niederlagen am Stück war Favre völlig am Boden zerstört und bettelte geradezu um seine Entlassung. Hier war Michael Preetz gefordert. Er hätte die Selbstzweifel auflösen und Favre wieder aufrichten müssen. Auch ein Machtwort der Mannschaft und Friedrich gegenüber fehlte an Autorität. Es wurde nicht aufgefangen, was Favre an Defizite hatte. Er ist ein guter Chef-Trainer, aber er kann Menschen nicht führen.
In Deutschland sind im professionellen Sport zudem Selbstzweifel undenkbar. Jemand der Selbstzweifel erkennen läßt, ist nicht mehr zu retten. So erfolgte die Trennung und Funkel kam, der den Abstieg von Hertha verwaltete.
Bereits in Zürich gab es bei Favre Phasen mit Selbstzweifel. Aber er hatte dort einen Präsidenten und einen Manager an der Seite gehabt, die ihn in den Arm nehmen und trösten konnten. So wie ein kleines Kind. Auch bei der Zusammenstellung der Mannschaft wurde zwar Favre gehört, aber letztlich haben Manager und Präsident die Entscheidungen getroffen.
Sehr gerne wird ein Mythos gepflegt, dass Favre einen guten Blick für Talente und gute Leute hätte. Dem kann man aber nur dem Aspekt zustimmen, wenn man diesen Leuten - wenn es gut läuft - eine dreiviertel Saison Zeit zugesteht, bis sie im System richtig spielen.
Favre hat seine Reize und ist auch eine Weile gut auszuhalten. Aber man darf die problematischen Seiten nicht ausblenden.
Wenn man bei Gladbach schlau ist, dann
- a) müsste das Management um Favre herum 1-2 Leute integrieren, die darauf achten, dass die Mannschaft emotionell eine Einheit wird/bleibt.
b) sollte das sportliche Management den Kader nach der erkannten Notwendigkeit verbessern und nicht blind Favre vertrauen.